Selbstoptimierung?

Gib jede Hoffnung auf Belohnung auf

Eine der wirkungsvollsten Lehren der buddhistischen Tradition ist die, dass sich solange nichts ändert, wie man sich wünscht das es sich ändert. Solange man sich wünscht, ein besserer Mensch zu werden, wird man es nicht. Solange man sich auf die Zukunft hin orientiert, kann man sich nicht entspannen und auf das einlassen, was man schon hat oder ist.

Eine der am tiefsten sitzenden Verhaltensweisen ist die zu glauben, dass die Gegenwart nicht gut genug ist. Wir denken viel über die Vergangenheit nach, die vielleicht besser war als das Heute oder auch schlechter. Wir denken auch ein wenig an die Zukunft – vor der wir uns vielleicht fürchten – immer in der Hoffnung, dass sie ein bisschen besser sein wird als die Gegenwart. Auch wenn es uns zur Zeit wirklich gut geht – wir sind gesundheitlich in Ordnung, haben den Mann oder die Frau unserer Träume kennen gelernt, haben ein Kind bekommen oder den Traumjob gefunden -, haben wir die Tendenz, ständig darüber nachzudenken, was werden wird. Du schenkst dem Menschen, der du gerade bist, nicht dein volles Vertrauen.

Es ist zum Beispiel leicht, zu hoffen, dass durch Meditation alles besser wird, dass wir keine schlechte Laune oder keine Angst mehr haben werden oder das die Leute uns besser leiden können als jetzt. Und wenn wir damit kein Problem haben, beschleicht uns vielleicht das Gefühl, dass wir nicht spirituell genug sind. Wir wollen unbedingt in die wache, brilliante und heilige Welt eintreten, die wir durch Meditation zu finden hoffen. Alles, was wir lesen, scheint irgendwie davon zu handeln, dass wir in einer sehr engen Perspektive gefangen sind und das wir, wenn wir uns nur richtig verhalten, Zugang zu einer größeren Welt bekommen, einer geräumigeren Welt, die anders ist als die, in der wir jetzt leben.

Einer der Gründe, warum ich darüber reden möchte, alle Hoffnung auf Belohnung aufzugeben, ist der, dass ich jetzt schon seit einiger Zeit meditiere und Dharmaunterweisungen gebe, aber merke, dass ich noch immer noch eine geheime Leidenschaft dafür habe, zu erfahren, wie es wohl sein wird, wenn – wie es in einigen der klassischen Texte heißt – „alle Schleier entfernt worden sind“. Es ist das selbe Gefühl, als wollte man über sich selbst hinausgehen und sich in einen Zustand wiederfinden, der wacher ist als das jetzt Gegenwärtige, wachsamer als der gegenwärtige Zustand. Manchmal passiert uns das auf einer sehr weltlichen Ebene: Wir möchten abnehmen, weniger Akne oder mehr Haare haben. Aber es bleibt so gut wie immer ein mehr oder weniger feines Gefühl, dass die Rechnung nicht ganz aufgegangen ist.

In einer der ersten Unterweisungen, die ich hörte, sagte der Lehrer: „Ich weiß nicht, warum ihr gekommen seid, aber ich sage euch gleich, dass die ganze Lehre darauf beruht, dass die Rechnung niemals aufgeht“. Ich fühlte mich ein wenig so, als hätte man mir gerade ins Gesicht geschlagen oder mir kaltes Wasser über den Kopf geschüttet. Aber ich denke immer wieder darüber nach. Er sagte: „die Rechnung geht nie ganz auf.“ Es gibt keine verheißungsvolle Zukunft, in der sich alles lückenlos zusammenfügt. Obwohl es mich schockierte, stellte es sich als wahr heraus. Eines der Dinge, die uns auf Dauer unglücklich sein lassen, die ununterbrochene Suche nach dem Glück oder nach Sicherheit, die Suche nach einer etwas angenehmeren Situation, entweder für den Hausgebrauch oder auf der spirituellen Ebene oder auf der Ebene geistigen Friedens.

Heutzutage gehen die Leute an die unterschiedlichsten Orte, um das zu finden wonach sie suchen. Es gibt unzählige Selbsthilfegruppen und Therapien. Viele Menschen fühlen sich verletzt, suchen nach etwas, das sie heilt. Mir scheint, dass die Wurzel der Heilung, die Wurzel des Gefühls, ein wirklich reifer Mensch zu werden, dort zu finden ist, wo man nicht mehr versucht, irgend etwas loszuwerden, sondern das was man hat, zu würdigen weiß. Das ist ein harte Brot, wenn das, was man hat, Schmerz ist.

In Boston gibt es eine Streßklinik, die nach buddhistischen Prinzipien geleitet wird. Sie wurde von Dr. Jon Kabat-Zinn gegründet, der praktizierender Buddhist ist und das Buch Full Catastophe Living (dt: Gesund und stressfrei durch Meditation) geschrieben hat. Der wichtigste Grundsatz für die Patienten in dieser Klinik ist, das sie jede Hoffnung auf Belohnung aufgeben müssen. Andernfalls ist die Therapie erfolglos. Wenn man das Bedürfnis hat, sich zu ändern, dann beruht das auf dem Gefühl, minderwertig zu sein. Es beruht auf Aggressionen gegen sich selbst und auf einer Abneigung dem eigenen momentanen Geisteszustand, der eigenen Art zu sprechen oder dem eigenen Körper gegenüber. Irgend etwas hält man für unzulänglich. Die Patienten kommen vor allem mit Suchtproblemen  wegen Medikamentenmissbrauchs oder starkem Arbeitsstress in die Klinik. Und diese simple Anweisung, nämlich die Hoffnung aufzugeben, ist die wichtigste Zutat, um Gesundheit und Heilung zu erreichen.

Das ist das Entscheidende. Solange man dünner, schlauer, erleuchteter, nicht so steif oder was auch immer sein möchte, geht man an das Problem mit der selben Logik heran, die es überhaupt erst hat entstehen lassen: Du bist nicht gut genug. Deshalb löst sich das Verhaltensmuster niemals auf, solange man etwas verbessern will.

Im Buddhismus gibt es eine lebensbejahende Lehre, die besagt, dass Buddha (das bedeutet „der Erwachte“) niemand ist, den man anbetet. Buddha ist niemand , dem man nacheifert. Buddha ist niemand der, der vor zweitausend Jahren geboren wurde und schlauer war, als wir selbst es je sein werden. Buddha ist die in uns wohnende Natur – unsere Buddhanatur -, und das bedeutet, dass wir völlig erwachsen werden, indem wir in Kontakt mit dem Wissen kommen, dass schon immer in uns war. Es ist kein Wissen, dass uns von außen aufgepropft wird. Wenn wir reifer werden, sind wir nicht länger Gefangene des in der Kindheit entstandenen Gefühls, das wir uns ständig schützen oder abschirmen müssen, weil das Leben brutal ist. Wenn wir dabei sind, erwachsen zu werden – und das würde ich so definieren, dass wir uns in unserer Welt vollkommen zu Hause fühlen, egal wie schwierig die Situation auch sein mag -, dann geschieht das, weil wir zulassen, das etwas, das bereits in uns ist, Nahrung erhält. Wir lassen zu, dass es wächst und sich zeigt, anstatt es andauernd abzuschirmen, zu verbergen und wie in einem Grab einzuschließen.

Jemand hat mal zu mir gesagt: „Wenn man Angst hat, dann ist das furchtsamer Buddha.“ Das passt zu allem, was wir empfinden, zum Beispiel zu Wutanfällen. Wir geraten außer Kontrolle, sehen rot und merken plötzlich, dass wir herumschreien, mit Dingen durch die Gegend werfen oder jemanden schlagen. Das ist der Moment, in dem wir die Tatsache akzeptieren sollten, dass das „wütender Buddha“ ist. Wenn wir eifersüchtig sind, dann ist das eifersüchtiger Buddha. Wenn wir Verdauungsbeschwerden haben ist das „Buddha mit Sodbrennen“. Wenn wir glücklich sind, „glücklicher Buddha“, wenn wir gelangweilt sind „gelangweilter Buddha“. Mit anderen Worten: alles was wir wahrnehmen oder denken ist es wert, dass wir Mitgefühl dafür empfinden, und alles, was wir denken und fühlen, verdient unsere Wertschätzung.

Diese Lehre hatte ein starke Wirkung auf mich. Ich machte die unterschiedlichsten geistigen Zustände und Stimmungen durch, es ging rauf und runter, nach links und nach rechts, ich viel auf die Nase und stand wieder auf. Aber in diesen ganz verschiedenen Lebenslagen erinnerte ich mich an „Buddha fällt auf die Nase, Buddha fühlt sich ganz oben auf, Buddha sehnt sich in die Vergangenheit zurück.“ Ich fing an zu begreifen, dass ich Buddha nicht entrinnen konnte, wie sehr ich es auch versuchte. Ich konnte durch Dick und Dünn zu mir halten. Wenn jemand sich selbst bedingungslos annehmen kann, kann er bedingungslos Buddha annehmen.

Aus diesem Grund sagt die Losung: „Gib jede Hoffnung auf Belohnung auf.“ Belohnung bedeutet, dass man sich in der Zukunft irgendwann gut fühlen wird. Es gibt ein anderes Wort, das Wort offen, das bedeutet, dass man ein offenes Herz und einen offenen Geist hat. Das bezieht sich stark auf die Gegenwart. Wenn man sich selbst bedingungslos annimmt, heißt das, jetzt und hier Buddha anzunehmen und zu sich selbst zu finden.

Weil Gampo Abbey ein Kloster ist, kann man dort nichts Spaßiges machen, außer wenn es einem Spaß macht, ununterbrochen zu meditieren oder in der Natur herzumzustreifen, aber das wird nach einer Weile alles ziemlich langweilig. Es gibt dort keinen Sex, man kann sich nicht betrinken, und man kann auch nicht lügen. Manchmal sehen wir uns einen Videofilm an, aber das ist selten, und normalerweise wird nachher darüber diskutiert. Das Essen ist manchmal gut und manchmal grauenhaft. Es ist ein ziemlich unbequemer Ort. Der Grund, warum es dort so unbequem ist, ist der, dass man dort nicht vor sich selbst weglaufen kann. Und dennoch: Je mehr die Leute sich mit sich selbst anfreunden, desto mehr halten sie es für einen zuträglichen Ort, an dem man die Buddhaschaft in sich selbst entdecken kann, so wie man gerade jetzt an diesem Tag ist. Kannst du dich genau heute bedingungslos annehmen? Genau mit deiner Größe deinem Gewicht, deinem Intelligenzquotient und dem Maß an Leid das du mit dir herumschleppst? Kannst du das bedingungslos annehmen?

Habe ich mal aus einem Buch abgeschrieben, weiß aber nicht mehr welches es war.